Interview mit Sportpsychologe Markus Gretz

Die Bedeutung von Sport für das psychische Wohlbefinden von Erwachsenen und Kindern.

Foto: Sportpsychologe Markus Gretz (privat)
Foto: Sportpsychologe Markus Gretz (privat)

Sportpsychologe Markus Gretz arbeitet mit Sportlerinnen und Sportlern aus den verschiedensten Disziplinen und Leistungsklassen. Der erfahrene Coach und Sportpsychologische Experte (asp) aus Ulm, der im Netzwerk die-sportpsychologen.de engagiert ist, betreut sowohl Olympia-Anwärter als auch Nachwuchstalente. Im Interview betont Gretz die Bedeutung von Sport für das psychische Wohlbefinden von Erwachsenen und Kindern und gibt praktische Tipps, wie sich der innere Schweinehund überwinden lässt.

Herr Gretz, wie wichtig ist das Sporttreiben gerade in dieser Zeit, die weiterhin von Corona beeinflusst wird?

Sport ist eine gute Abwechslung zum normalen Alltag. Es ist gerade jetzt besonders sinnvoll, sich fit zu halten, da man durch die bestehenden Einschränkungen oft immer noch weniger als gewöhnlich aus der Wohnung rauskommt. Viele Menschen sind ja weiterhin im Home Office, es gibt weniger Veranstaltungen und man verzichtet vielleicht aus Vorsicht auf einige Verabredungen oder Events. 

In der Lockdown-Phase im Frühjahr, als alles heruntergefahren war, haben einige Menschen wahrscheinlich sogar mehr Sport getrieben, weil sie mehr Zeit hatten. Nun geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen dem sich normalisierenden Alltag und der Freizeit zu finden – und der Sport, das kann ich nur empfehlen, sollte dabei unbedingt eingeplant werden!

Es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit: Menschen bangen um ihren Job oder ihre Gesundheit, der Unterricht könnte aufgrund von positiven Corona-Tests an den Schulen jederzeit kurzfristig ausfallen und keiner weiß, wie sich die Corona-Lage im Herbst bzw. Winter entwickelt. Welchen Halt kann der Sport in dieser Situation auch psychisch bieten?

Dass in vielen Punkten weiterhin Unsicherheit herrscht, daran besteht kein Zweifel. Diese Unsicherheit lässt sich jedoch oft besser bewältigen, wenn man sich klare Strukturen schafft. Im Home Office ist der Tagesablauf möglicherweise nicht mehr so klar strukturiert wie er es sonst durch die Anwesenheit im Büro war. Das kann sicherlich eine zusätzliche Unsicherheit sein und begünstigt oft ein höheres Stresslevel.

In diesem Fall könnte es helfen, sich für den Sport eine feste Zeit einzuplanen. Zu dieser Zeit macht man dann auch seinen Sport; unabhängig davon, was sonst noch auf der To-Do-Liste steht. Sein Training fest einzuplanen, gibt dem Alltag eine Grundstruktur – und das hilft, auch die anderen Sachen zu strukturieren.

Außerdem gilt: Umso fester der Sport eingeplant ist, umso verbindlicher ist es für den Kopf – und umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man seinen Plan auch umsetzt. Mit einem festen Termin ist ein wichtiger Schritt getan, um von der Motivation zur Volition (Volition bezeichnet die Willenskraft, die notwendig ist, um auftretende Widerstände, Zweifel oder Unlustgefühle zu überwinden, Anm. d. Red.) zu kommen.

Wenn es in den kommenden Wochen zunehmend kälter und dunkler wird, fällt es jedoch oft schwerer, die Wohnung noch einmal zu verlassen und sich zum Sporttreiben zu überwinden …

Wenn der Plan feststeht, empfiehlt es sich, auch daran festzuhalten. Sollte es einem schwer fallen, bei schlechtem Wetter rauszugehen, könnte man das Sporttreiben mit einer darauffolgenden Belohnung verknüpfen - auf die man sich beim Sport bereits freuen kann. Ob es jetzt ein warmes Getränk auf dem Sofa, das Anzünden des Ofens oder die Zeit für ein gutes Buch ist: Die Belohnung steigert die Motivation.

Einen Sporttermin für sich einzuplanen, ist das eine – welche Ratschläge hätten Sie für eine Familie, wenn das Kind keine Lust zu dem feststehenden Sporttermin hat?

Das stimmt, Kinder haben oft ihren eigenen Kopf (schmunzelt). Sie denken nicht so rational wie Erwachsene, sondern gehen eher nach ihren Gefühlen. Daher sollte man als Elternteil versuchen, den Sport für die Kinder positiv zu besetzen, indem man den Spaß in den Vordergrund stellt. Wenn man Zwang ausübt, wird der Sport schnell negativ wahrgenommen und der Trotz noch größer.

Sprich: Man sollte als Elternteil vorleben, dass Sport Spaß macht – oder den Sport ohnehin als Familienunternehmung einplanen? Auch das Sportabzeichen richtet sich ja beispielsweise an Erwachsene und Kinder …

Genau! Man kann sich zum Sport beispielsweise auch mit befreundeten Familien verabreden, sodass das Kind beim Sport seine Freunde trifft. Es geht darum, die Sachen, die das Kind ohnehin gerne macht, mit dem Sport verknüpfen.

Einen Sporttermin langfristig als Familienveranstaltung einzuplanen, ist auch eine gute Idee. Kinder verlangen nach festen Strukturen und Gewohnheiten - und wenn es dann einen festen Termin für den Sport gibt, freuen sie sich auch oft darauf, weil man gemeinsam Zeit verbringt und Spaß hat.

Es wurde ja in den vergangenen Monaten immer wieder die Befürchtung geäußert, dass Corona verstärkt zu Vereinsamung und Isolation führen kann. Welche Rolle spielt ein regelmäßiges Sporttreiben - ob alleine, in der Familie oder mit dem besten Kumpel - für das psychische Wohlbefinden?

Das ist ein ganz entscheidender Faktor! Beim Sport werden Glückshormone und Endorphine ausgeschüttet. Der Körper belohnt einen, wenn man Sport getrieben hat und auch auf das Immunsystem hat Sport zweifelsfrei positive Auswirkungen. Die Bewegung an der frischen Luft ist zudem gerade im Herbst und Winter sinnvoll, denn in der kalten Jahreszeit bekommen viele Menschen oft ohnehin zu wenig Licht und Sonne.

Kurz gesagt: Nach draußen zu gehen und Sport zu treiben, tut einfach gut! Und sollte es noch einmal zu einem Lockdown wie im Frühjahr kommen, ist es wahrscheinlich trotz der Kälte angenehmer, mit einer kleinen Gruppe draußen laufen zu gehen als sich mit zwei Metern Abstand zueinander zu unterhalten …

Eine feste Zeit einplanen und Belohnungen schaffen: Welche praktischen Ratschläge hätten Sie noch, um den inneren Schweinehund zu überwinden?

Es ist immer sinnvoll, sich Ziele zu setzen - unabhängig, ob man Leistungs- oder Freizeitsportler ist. Ziele steigern die Motivation und wenn man festhält, was man geleistet hat, erkennt man auch relativ schnell Fortschritte. Gerade am Anfang sind die Fortschritte meist besonders groß. Ziele zu verfolgen, ist zudem eine Möglichkeit, seine Leistung objektiv zu messen - die vielen Fitnesstracker zeigen, dass daran ein breites Interesse besteht.

Wenn wir beim Beispiel Laufen bleiben: Es ist unwichtig, ob man sich eine bestimmte Zeit oder Distanz als Ziel setzt oder einfach das Handlungsziel formuliert, über einen gewissen Zeitraum zweimal die Woche laufen gehen zu wollen. Das Entscheidende ist vielmehr, dass man ein Ziel formuliert, welches man erreichen will. Hat man dieses Ziel erreicht, kann man sich auch erneut belohnen – beispielsweise mit einem Wellnesstag.

Inwieweit kann man mit der Festlegung von Zielen auch für seine Kinder neue Anreize für ein regelmäßiges Sporttreiben schaffen?

Kinder wollen meist gerne Leistung bringen und freuen sich, wenn sie etwas geschafft haben. Wenn man ihnen zunächst ein Ziel setzt, das sie gut erreichen können, ist das ein Erfolg und führt dazu, dass sie auch die nächste Stufe schaffen wollen. Es ist auch eine Möglichkeit, neben dem machbaren Ziel ein schwierigeres Fernziel zu setzen, das die Kinder nicht sofort erreichen können – so werden sie motiviert, dranzubleiben.

Zum Abschluss: Was bringt der Sport für jeden Menschen?

Man erlebt Freude, schüttet Glücksgefühle aus und stärkt seine Gesundheit. Treibt man in einer Gruppe Sport, wird auch die Freundschaft gestärkt. Der Sport ist gerade in einer Zeit, in der Freude und soziale Kontakte oft zu kurz kommen, immens wichtig und, wie eingangs bereits gesagt, eine wichtige Abwechslung zum normalen Alltag.

(Quelle: Medienmannschaft / Julia Nikoleit)


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