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Was das Deutsche Sportabzeichen so besonders macht

Am Montag startete in Bad Vilbel die Sportabzeichen-Tour des DOSB. Dort war exemplarisch zu beobachten, wie der Sport Menschen aus verschiedensten Gesellschaftskreisen zusammenführen und in Bewegung bringen kann.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

17.06.2025

Ein Kind springt in eine Weitsprunggrube
Standweitsprung ist eine beliebte Disziplin beim Sportabzeichen.

Wie eine Lokomotive auf Autopilot schiebt sich der drahtige Mann, das dünne Leibchen mit der Startnummer sechs über den freien Oberkörper gespannt, über die Laufbahn des Nidda-Sportfelds in Bad Vilbel. Runde um Runde spult er ab, sein Laufstil weist ihn als erfahrenen Ausdauerathleten aus. Seiner Pace kann niemand folgen, seine sieben Mitstreitenden überrundet er teilweise mehrmals. Im Ziel seines 3000-Meter-Laufs angekommen ist nicht zu erkennen, dass ihn der Abschluss seiner Prüfung unter der drückenden Nachmittagssonne angestrengt haben könnte. Diese Maschine pfeift nicht wie eine Dampflok aus dem letzten Loch, sie surrt minimal wie ein elektronischer Triebwagen. Anerkennender Applaus brandet auf aus Richtung des Zeltes, wo die nächsten Prüflinge auf ihren Start warten. Und Alexandra Pensky, beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) im Ressort Breitensport und Gesundheit für die Sportabzeichen-Veranstaltungen verantwortlich, spricht auf ihrem Platz hinter der Balustrade das aus, was in diesem Moment viele fühlen. „Dafür mag ich diese Veranstaltung so sehr. Die Stimmung ist einfach so schön, das ist Sport pur!“

Keine Frage: Der Auftakt der Sportabzeichen-Tour, die der DOSB seit 2004 organisiert und zu dem am Montag, den 16. Juli, über den Tag verteilt rund 600 Menschen in die mit knapp 36.000 Einwohner*innen bevölkerungsreichste Stadt im hessischen Wetterau-Kreis kamen, unterstrich eindrucksvoll, worum es beim Deutschen Sportabzeichen geht. Darum, die Vielfalt des Sports zu erleben und zu feiern; sich selbst zu persönlicher Höchstleistung zu motivieren, weil der einzige Gegner der innere Schweinehund ist und im gemeinsamen Wettbewerb mit anderen noch leichter besiegt werden kann. Darum, Herausforderungen zu meistern – und am Ende des Tages zwar nicht immer mit dem erhofften Ergebnis nach Hause zu gehen, aber doch nie mit leeren Händen.

Das Team der Ehrenamtlichen umfasst 100 Personen

„Das gefällt mir an dem Konzept so gut: Dass alle ihren Fähigkeiten und ihrem Fitnesslevel entsprechend auch niederschwellig Sport treiben können und trotzdem ausgezeichnet werden“, sagt Thomas Golla. Als Leiter des Organisationsteams hat der hauptberuflich beim Landratsamt in Bad Homburg Angestellte den Tour-Auftakt für den als Ausrichter fungierenden Sportkreis Wetterau auf die Beine gestellt. Drei Personen umfasst das Kernteam, das seit vergangenem November die Planung vorangetrieben hatte. Am Montag sind es inklusive aller freiwillig Helfenden rund 100 Personen. „Ich habe fast mein gesamtes privates Umfeld eingespannt und seit März rund 15 Stunden pro Woche ehrenamtlich gearbeitet. Das ist für eine Nebentätigkeit eigentlich zu viel“, sagt er. Aber dann die Begeisterung zu erleben, mit der die Aktiven und auch das Helferteam am Start sind, entschädige für alles. „Menschen zu bewegen und zusammenzubringen, das ist meine Mission, und dafür hat es sich für mich persönlich gelohnt!“

Seit dem Jahr 1913 wird in Deutschland ein Abzeichen für überdurchschnittliche und vielseitige körperliche Leistungsfähigkeit verliehen. Wer es erhalten möchte, muss jeweils eine Übung aus den Teilbereichen Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Koordination absolvieren und außerdem die Schwimmfähigkeit nachweisen. Die 22 unterschiedlichen Übungen haben nach Altersklassen aufgeteilte Leistungsvorgaben, die eine Verleihung in Bronze, Silber und Gold ermöglichen. Die genauen Kriterien sind hier einzusehen. Angeboten wird die Abnahme in vielen der 86.000 Sportvereine in Deutschland, gut 550.000 Menschen mit und ohne Behinderung haben im Jahr 2024 eine dieser Möglichkeiten genutzt.

  • Thomas Golla lächelt

    Es ist so schön zu sehen, wie viel Freude auch Menschen, die körperlich beeinträchtigt sind, an Bewegung haben. Das zeigt mir, welche Bedeutung der Sport für unsere gesamte Gesellschaft haben kann und sollte.

    Thomas Golla
    Organisationschef
    Sportkreis Wetterau

    Um öffentliche Akzente für mehr Bewegung, Gesundheit und Inklusion zu setzen, hatte der DOSB vor 21 Jahren die Sportabzeichen-Tour ins Leben gerufen. Ein Unterschied zu den „normalen“ Prüfungsterminen ist, dass die Abnahme auf der Sportabzeichen-Tour für die Prüflinge kostenfrei ist, während sonst zwischen 1,25 Euro für Kinder und Jugendliche bis zu vier Euro für Erwachsene fällig werden. Meistens hat die Tour in zehn Städten Halt gemacht. „Leider sind uns zwei Partner weggebrochen, so dass es in diesem Jahr nur fünf Stationen sind“, sagt Simone Müller, für die Deutsche Sport Marketing GmbH (DSM) seit 2013 mit der Eventumsetzung und Betreuung der nationalen Förderer betraut, von denen aktuell lediglich die Sparkassen-Finanzgruppe verblieben ist. „Umso dankbarer sind wir für deren Unterstützung“, sagt Simone Müller, deren Kollege Andreas Kronberg sich DSM-seitig um die Vermarktung kümmert.

    Die Tourstopps, die in Kooperation mit den gastgebenden Städten, Sportkreisen oder Landessportbünden organisiert werden, sind meist in übergreifende Veranstaltungskonzepte eingebunden. In Bad Vilbel zum Beispiel findet seit dem 13. und noch bis zum 22. Juni der Hessentag statt. „Für die Stadt ist die Sportabzeichen-Tour ein zusätzlicher Imagegewinn“, sagt Thomas Golla, „dadurch hatten wir am Montag Prominenz aus Politik und Sport bei uns, die sonst selten den Weg nach Bad Vilbel findet.“ Zur Eröffnung um 9.30 Uhr, als knapp 400 Kinder und Jugendliche von zehn Schulen aus der Region auf den Start warteten, waren Diana Stolz, hessische Landesministerin für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege, DOSB-Präsident Thomas Weikert, Hessens LSB-Präsidentin Juliane Kuhlmann sowie die Sportbotschafter*innen der Sparkassen-Finanzgruppe, Gerätturn-Rekordmeisterin Elisabeth Seitz und Skirennfahrer Gerd Schönfelder, mit 22 Medaillen erfolgreichster paralympischer Wintersportler, als Unterstützung vor Ort.

    Thomas Golla hebt den inklusiven Gedanken des Sportabzeichens hervor, der sich in Bad Vilbel darin ausdrückte, dass unter den zehn teilnehmenden Schulen auch drei Fördereinrichtungen für Menschen mit Behinderungen waren. „Es ist so schön zu sehen, wie viel Freude auch Menschen, die körperlich beeinträchtigt sind, an Bewegung haben. Das zeigt mir, welche Bedeutung der Sport für unsere gesamte Gesellschaft haben kann und sollte.“ Und dass die Sportabzeichen-Tour Jung und Alt zusammenbringt, ist am Montag auch nachmittags, als die Schulklassen längst zu Hause waren und die Veranstaltung für alle Interessierten offenstand, was auch 30 Mitarbeitende von DOSB, DSM, Deutscher Sportjugend und Deutscher Olympischer Akademie zum Ablegen des Sportabzeichens nutzten, unübersehbar.

    • Alina Schneider lächelt

      Ich bin mit Bronze insgesamt vollkommen glücklich. Für mich ging es darum, einfach mitzumachen und Teil des Ganzen sein zu können.

      Alina Schneider
      Austauschlehrerin aus Australien
      Europäische Schule RheinMain

      Wie wichtig das ist, davon kann Richard Diegel erzählen. In seinem Verein TG Groß-Karben ist der pensionierte Lehrer, der als Aktiver Faustball spielte, der letzte verbliebene Prüfer. „Jeden Mittwoch von Anfang April bis Ende Oktober bieten wir die Sportabzeichen-Abnahme an. Wenn ich nicht da bin, finden die Prüfungen nicht statt“, sagt der 77-Jährige, der seinen Verein von 1985 bis 1999 als Erster Vorsitzender führte und offiziell seit 1995 als Prüfer arbeitet, sich aber seit den 80er-Jahren ehrenamtlich für das Sportabzeichen engagiert. „Ich habe vor den Leistungen aller, die sich Jahr für Jahr aufraffen, großen Respekt. Das Sportabzeichen ist für mich wirklich ein ehrenvoller Orden, den manche sich hart erarbeiten.“ Sorge mache ihm aber, dass es an Nachwuchs fehle, der sich engagieren wolle.

      Rosalie Müller kann das bestätigen. Die 13-Jährige hat sich in ihrem Heimatverein TAV Eppertshausen seit drei Jahren auf den Diskuswurf konzentriert und nimmt auf Landesebene an Meisterschaften teil. In Bad Vilbel absolviert sie zum vierten Mal das Sportabzeichen – und ist damit in ihrer Schulklasse ebenso eine Exotin wie in ihrem Verein. „Ich mag es, mich in verschiedenen Disziplinen ausprobieren zu können. Leider wollen sich viele in meinem Umfeld nicht engagieren oder auch mal quälen. Ich finde das schade, denn die Stimmung hier gefällt mir richtig gut“, sagt die Leichtathletin, die sich durchaus vorstellen kann, dem Sportabzeichen auch als Ehrenamtliche treu zu bleiben. „Ich finde es wichtig, solche Veranstaltungen zu unterstützen!“

      Eine Premiere der besonderen Art erlebt Alina Schneider auf dem Nidda-Sportfeld. Die in England geborene Tochter deutscher Eltern, die kurz nach ihrer Geburt nach Australien emigrierten, ist als Austauschlehrerin seit Dezember und noch bis Ende Juli an der Europäischen Schule RheinMain in Dortelweil tätig – und hatte Lust, am Nachmittag selbst aktiv zu werden, nachdem sie morgens noch 24 Kinder ihrer Schule betreut hatte. „Die Abnahme des Deutschen Sportabzeichens, die auch international möglich ist, gibt es in Australien leider nicht mehr. Ich hatte einen wirklich lustigen Nachmittag“, sagt die 29-Jährige, die in Longford im Bundesstaat Victoria als Deutschlehrerin arbeitet und die australische sowie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Besonders über ihre Silberleistung im Standweitsprung – vielleicht abgeschaut beim australischen Wappentier, dem Känguru – freut sie sich. „Aber ich bin mit Bronze insgesamt vollkommen glücklich. Für mich ging es darum, einfach mitzumachen und Teil des Ganzen sein zu können.“

      Es sind Geschichten wie diese, die das Deutsche Sportabzeichen besonders machen. Geschichten, die unterstreichen, dass im Sport, der in vielen Bereichen Leistung in den Vordergrund stellt, manches Mal das Dabeisein noch immer alles ist.

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